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5.4 Neue Wohnformen im Rahmen des Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz (WTPG)

Die Unzufriedenheit mit den klassischen stationären Wohn- und Pflegeangeboten, sowie die zurückgehende Akzeptanz für eine zunehmend am Gewinn orientierte Versorgungsstruktur lässt viele Betroffene immer häufiger nach anderen Lösungen suchen. Im Folgenden wird deshalb auf alternative Pflegearrangements in Form von ambulant betreuten Wohngemeinschaften eingegangen.

Das seit Mai 2014 gültige Gesetz für unterstützende Wohnformen, Teilhabe und Pflege (Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz, WTPG) gibt ambulant betreuten Wohngemeinschaften in Baden-Württemberg einen gesetzlichen Rahmen und möchte dadurch zu einem deutlichen Ausbau beitragen. Gleichzeitig will das Gesetz die Qualität und den Schutz der Bewohner sicherstellen, indem es die unterschiedlichen Formen ambulant betreuter Wohngemeinschaften definiert und die jeweiligen Anforderungen beschreibt:

Bei „vollständig selbstverantworteten“ Wohngemeinschaften (§ 2 WTPG) bilden die Bewohner beziehungsweise deren gesetzliche Vertreter ein Bewohnergremium, das über alle gemeinschaftlichen Angelegenheiten entscheidet, z.B. über die Verwendung des Haushaltsgeldes, über Neuaufnahmen oder auch über die Auswahl der ambulanten Dienste. Initiiert werden solche Pflegewohngruppen vorrangig von Vereinen und Gruppierungen Angehöriger, häufig mit Unterstützung durch engagierte Fachkräfte aus der Pflege.

Bei den anbietergestützten Wohngemeinschaften stellt ein Träger die Betreuungsleistungen zur Verfügung. Der Wohnraum kann ebenfalls von diesem oder auch von einem Dritten z.B. der Kommune angeboten werden. Die Pflegeleistung kann von den Bewohnern auch in dieser Angebotsform frei gewählt werden. Dann handelt es sich um „teilweise selbstverantwortete“ Wohngemeinschaften (§ 5 WTPG).

Abbildung 8: Wohnformen nach dem Gesetz für unterstützende Wohnformen, Teilhabe und Pflege

Primäres Ziel der ambulant betreuten Wohngemeinschaften ist es, auch bei sehr umfassendem Pflegebedarf ein hohes Maß an individueller Selbstbestimmung und eine möglichst familienähnliche Wohn- und Pflegesituation zu gewährleisten.

Pflegewohngemeinschaften orientieren sich am Alltag im Privathaushalt, bieten aufgrund der kleinen Bewohneranzahl und des Konzepts ein hohes Maß an Überschaubarkeit, Individualität und Selbstbestimmung und ermöglichen sehr flexible Unterstützungsarrangements. Gleichzeitig stehen Pflegewohngemeinschaften auch vor komplexen Herausforderungen. Die wesentlichen Problemstellungen bei den bisher realisierten Projekten konzentrieren sich auf den rechtlichen Status (grundsätzliche Voraussetzung für den ambulanten Status ist eine vertragliche Trennung von Wohnangebot und Pflegeleistungen), auf die Finanzierung der baulichen Investitionen und des laufenden Betriebs. Auch die Frage der für einen wirtschaftlichen Betrieb erforderlichen Mindestgröße stellt manche Initiativen vor Schwierigkeiten.

Grundsätzlich können ambulant betreute Pflegewohngemeinschaften nur dann funktionieren, wenn die Modalitäten sowohl bei der Planung als auch im Betrieb mit Heimaufsicht, Sozialhilfeträger, Pflegekasse und Krankenkasse besprochen und geklärt werden. Die Integration ins Umfeld und auch die Wirtschaftlichkeit von Pflegewohngemeinschaften können verbessert werden, wenn sie in andere Sozial- oder Wohnprojekte in einer Stadt oder Gemeinde integriert sind, wenn sie im Verbund mehrerer Projekte geführt werden und wenn ein verlässliches Engagement von Angehörigen und sonstigen freiwilligen Helfern gewährleistet ist. Erleichtert wird die Entstehung ambulant betreuter Wohngemeinschaften, wenn seitens der Standortkommune gute Rahmenbedingungen geschaffen werden, wie zum Beispiel Hilfe bei der Öffentlichkeitsarbeit, bei der Gebäude- oder Grundstücksbeschaffung oder der Unterstützung bei der Finanzierung von Baumaßnahmen. Auch Anschubförderungen, die einzelne Stadt- und Landkreise20 auf freiwilliger Basis anbieten, können die Versorgungslandschaft durch die Entstehung weiterer Pflegewohngemeinschaften erweitern.

Einige Gemeinden des Landkreises Tuttlingen sind auf dem Weg ambulante Wohn-gemeinschaften zu schaffen. Das erste Projekt entstand in der Stadt Fridingen an der Donau. Dieses Projekt war wegweisend und hat inzwischen viele Erfahrungen gesammelt. Es findet derzeit ein Wechsel des Trägers bzw. des Anbieters statt. Ein weiteres Beispiel ist die Gemeinde Wurmlingen. Dort entsteht als weiteres Modellprojekt im Landkreis die erste (anbietergestützte) Wohngemeinschaft seit Einführung des WTPG. Im Sinne der Daseinsvorsorge plant die Gemeinde Wurmlingen, die in den letzten Jahren vor Ort entwickelte Angebotsstruktur für Bürger mit Unterstützungsbedarf um eine ambulant betreute Wohn-gemeinschaft für 12 Menschen mit Unterstützungs- und Versorgungsbedarf zu ergänzen. Aktuell stehen in der Gemeinde betreute Wohnungen, eine Tagespflege, ambulante Dienste und das Angebot der Nachbarschaftshilfe mit überwiegend durch bürgerschaftlich Engagierten erbrachten niederschwelligen Angeboten zur Verfügung. Der Wohnraum für das Wohngemeinschaftsprojekt in der Ortsmitte von Wurmlingen wird von der Gemeinde bereitgestellt, die als Generalvermieterin auftritt. Die Rolle des Anbieters für die ambulant betreute Wohngemeinschaft wird die Nachbarschaftshilfe übernehmen. Das Gebäude, in dem neben dem Wohngemeinschaftsprojekt einige betreute Wohnungen entstehen werden, liegt unmittelbar im Ortskern. Die Einrichtungen der Grund- und Nahversorgung, Kirchen und Arztpraxen sind auf kurzem Weg erreichbar. Die bürgerschaftlich Engagierten der Bürgerstiftung, die örtlichen Institutionen und Vereine und Kirchengemeinden tragen das Projekt mit und haben bereits ihre Bereitschaft signalisiert, zu dessen Einbindung in das Gemeinwesen beizutragen.

Eine Beschreibung des Modellprojektes aus dem Landkreis Tuttlingen ist im Anhang zu finden.


20 Zum Beispiel der Landkreis Ludwigsburg, s. Richtlinie zur Förderung von ambulant betreuten Pflege-Wohngemeinschaften im Landkreis Ludwigsburg (Beschluss des Sozialausschusses des Landkreises Ludwigsburg vom 19. Mai 2014)

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